Hanau – Stellen Sie sich vor, Sie sanieren Ihr Dach. Die Handwerker sind fleißig zugange, verlegen Ziegel um Ziegel. Plötzlich klopft eine Mitarbeiterin des Denkmalamts an der Tür und sperrt die Baustelle. Man sagt Ihnen, Ihr Haus stehe unter Denkmalschutz, Sie hätten das nicht einfach so machen dürfen. Und müssten teure Ziegel verwenden. Doch dass Ihr Haus ein Denkmal ist, wussten Sie nicht – weil das entschieden wurde, nachdem Sie das Haus gekauft haben.
Plötzlich geschützt, sozusagen. So ist es Claudia Ruth samt ihrer Familie ergangen, die seit 2001 ein Reihenhaus an der Hanauer Hahnenkammstraße im Freigerichtsviertel bewohnt. Es blieb nicht beim Baustopp, stattdessen kam es für die Ruths richtig dicke: Die bereits verlegten Frankfurter Pfannen in Anthrazit müssen wieder runter. Stattdessen wird der Familie auferlegt, teure Biberschwanzziegel zu verwenden, weil diese ursprünglich das Dach zierten – und deswegen nur diese zulässig seien.
Plötzlich unter Denkmalschutz
„Wir waren fassungslos“, blickt Claudia Ruth im Gespräch mit unserer Zeitung zurück. Schließlich hatte man sich bewusst für die kostengünstige Variante entschieden. „Uns hatte niemand mitgeteilt, dass unser Haus unter Denkmalschutz gestellt wurde. Mittlerweile haben wir herausgefunden, dass dies nicht nötig ist. Es genügt, wenn das in einem Denkmalschutz-Register oder einer Tageszeitung veröffentlicht wird. Aber mit so etwas kann man doch nicht rechnen“, sagt sie.
Nachvollziehbar, wenn man sich das Haus anschaut. Es ist Teil einer Reihenhaus-Zeile, der zumindest für Laien nichts hat, was einen an ein Denkmal denken ließe. Schließlich blickt man nicht auf Fachwerk oder sonstige besondere Architektur. Die Untere Denkmalschutzbehörde in Hanau sieht das anders. Sie weist darauf hin, die Reihenhäuser seien als Gesamtanlage denkmalgeschützt. Es gelte, die „Biberschwanz-Dachlandschaft“ zu erhalten (siehe Kasten am Textende).
Dachgeschoss wurde unbewohnbar
Einen „Behörden-Irrsinn der besonderen Art“ hat Frau Ruth auch mit Blick auf die Nachbarhäuser ausgemacht. Denn dort sind längst andere Ziegel verlegt. „Die Eigentümer wussten offenbar auch nichts vom Denkmalschutz und haben einfach Frankfurter Pfannen gedeckt“, sagt sie. Der einzige Unterschied: Bei den anderen hat es keiner gemerkt. Und so liegen die Frankfurter Pfannen dort bis heute. Dies sei den Behörden bekannt, im Denkmalschutz-Register sei von „heute leider individuell modernisierten Kleinhäusern“ die Rede. In einem Fall sei die Sanierung mit „normalen“ Ziegeln sogar genehmigt worden, behauptet Ruth.
Wie auch immer, man habe den geforderten Genehmigungsantrag nachgereicht, sonst hätten die Bauarbeiten nicht fortgeführt werden dürfen. Die Folgen spürt die Familie nicht nur nervlich, sondern auch im Geldbeutel. „Die Neueinrichtung der Baustelle, das Setzen einer neuen Lattung, die neuen, teureren Ziegel und weitere Auflagen führten zu Mehrkosten von über 31 000 Euro, die wir nun zu stemmen haben“, sagt sie. Wir – das sind Claudia Ruth und ihr Mann sowie der 25-jährige Sohn und die 22-jährige Tochter. Beide Kinder wohnten im Dachgeschoss, das unbewohnbar geworden ist.
Widerspruch keine Option
Bereits im vergangenen Jahr, vor dem Baustopp, hatte es einen Wasserschaden gegeben. Die von den Ruths beauftragte Firma hatte das Dach abgedeckt, danach unvollständig gedeckt und die Baustelle nicht mehr weitergeführt. Ein neues Unternehmen deckte das Dach mit einer Folie ab und setzte die Arbeiten im Februar fort. „Durch das offene Dach hatten wir einen weiteren Wasserschaden“, berichtet Claudia Ruth. Die Tochter zog daher zu ihrem Freund.
Ein Widerspruch gegen den Bescheid der Behörde sei keine Option gewesen. „Das hätte eine Unterbrechung von Wochen oder Monaten bedeutet. Die Arbeiten mussten aber schnell weitergehen, damit nicht noch mehr Schaden entsteht“, erläutert Ruth.
„Wenn man Glück hat, bekommt man es mit“
Auch der Hinweis der Hanauer Denkmalschützer auf die Möglichkeit, Fördergelder beim Landesdenkmalamt zu beantragen, habe sie nicht weitergebracht. Zwar habe sie einen Antrag gestellt, sei aber darauf hingewiesen worden, dass die Bearbeitung Wochen in Anspruch nimmt. Zudem wäre eine Förderung ihrer Einschätzung nach unwahrscheinlich gewesen, da der Antrag gestellt werden müsse, bevor die Maßnahme beginne. „Ich habe den Antrag dann zurückgezogen.“
Als wäre der Behörden-Ärger nicht genug, ist auch die private Situation von Claudia Ruth angespannt. „Mein Mann wird seit Mitte Januar wegen einer Hirnblutung im Krankenhaus behandelt“, sagt sie. Auch deswegen habe sie die Sachbearbeiterin in Hanau regelrecht angefleht, unbürokratisch in ihrem Sinne zu entscheiden. „Ich hätte auch eine Strafe gezahlt, aber es half alles nichts“, berichtet die 58-Jährige zerknirscht. Ihre Geschichte wolle sie erzählen, um andere Hauseigentümer zu warnen. Es sei erschreckend, dass man nicht informiert werden müsse, wenn Häuser unter Denkmalschutz gestellt würden. „Es wird einfach verfügt – wenn man Glück hat, bekommt man es mit.“ Mittlerweile sind die Arbeiten beendet. Biberschwanzziegel zieren das Dach. Und in der Haushaltskasse der Ruths herrscht gähnende Leere.
Quelle: https://www.hna.de/hessen/